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Mit dena-Wissen entsteht in China der Typus einer neuen Stadt

Tongli New Energy Town heißt das Großprojekt, das anderthalb Stunden westlich von Shanghai bis 2022 entstehen wird. Durchzogen von romantischen Kanälen ist die tausendjährige Wasserstadt Tongli bislang vor allem ein touristischer Begriff. Doch das soll sich ändern: In rasantem Tempo sollen rund um den historischen Kern smarte und nachhaltige Stadtgebiete entstehen, als lebendiger Schauplatz für die urbane Energiewende – Made in China.

Der weltweit zu beobachtende Trend der Urbanisierung stellt China, das bevölkerungsreichste Land der Erde, vor große Herausforderungen. Schon 2020 sollen mehr als eine Milliarde chinesischer Bürgerinnen und Bürger in Städten wohnen. Eine Entwicklung, die von der Staatsführung forciert wird, um das riesige Land besser zu vernetzen und effizient auszubauen. Als Grundlage für eine prosperierende Wirtschaft sollen die urbanen Zentren Chinas zukünftig über eine optimierte Verkehrsinfrastruktur und Energieversorgung verfügen. Aber auch ökologische Aspekte erhalten einen neuen Stellenwert. Das zentrale Ziel: die städtische und ländliche Entwicklung zu koordinieren und fit für die moderne Gesellschaft zu machen. Die Führungsrolle in punkto Stadtentwicklung ist dabei den großen Metropolen zugedacht.

Nur knapp zwei Stunden westlich von Shanghai, Chinas Wirtschaftszentrum der Superlative, liegt die historische Wasserstadt Tongli. Sie bildet den Mittelpunkt der Shanghai umgebenden Metropolregion die als High-Tech-Cluster gilt und in der 170 Millionen Menschen leben und arbeiten.

Rund um den historischen Kern Tonglis entstehen bis 2022 smarte und nachhaltige Stadtgebiete. Foto: shutterstock/Sven Hansche

Die Stadt soll in den kommenden Jahren eine schwierige Aufgabe meistern: Sie muss das Traditionelle mit der Zukunft verbinden und sich zum internationalen Vorbild für eine smarte und ökologische Stadt entwickeln. Der Treiber hinter dem Großprojekt sind die Stadtverwaltung der Millionenstadt Suzhou und die State Grid Corporation of China (SGCC), eines der wichtigsten Energieunternehmen der Volksrepublik. Für den Betrieb des Großteils des chinesischen Stromnetzes zuständig, hat die State Grid eine Schlüsselrolle beim Umbau des chinesischen Energiesystems inne.

Wie auch in Deutschland ist dieser Umbau zentral für die erfolgreiche Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und für die Integration steigender Anteile erneuerbarer Energien in den Strommarkt. Die für leistungsstarke und intelligente Stromnetze notwendigen Technologien stammen unter anderem von deutschen Unternehmen. Den reichhaltigen Erfahrungsschatz der deutschen Energiewende bringt die dena ein. Die dena berät unter anderem die State Grid Corporation of China bei der Planung und Umsetzung der chinesischen Energiewende. Im März 2018 unterzeichneten beide Unternehmen eine Vereinbarung, um Tongli New Energy Town zur Vorzeigestadt für die urbane Energiewende zu entwickeln. Kern des Projektes ist ein ganzheitliches Konzept für ein zukunftsweisendes, integriertes Energiesystem im Stadtgebiet.

Die dena empfahl den Ausbau der Ladeinfrakstruktur für E-Mobilität, um die Energieeffizienz und die Dekarbonisierung in Tongli zu erhöhen. Foto: Fotolia / Michael Flippo

Simulation errechnet Anforderungen an das urbane Energiesystem

Gemeinsam mit der dena entwickelte das E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen ein neuartiges Simulationsmodell für die Berechnung eines optimierten und integrierten Energiesystems. Die Simulation betrachtet die Energiesektoren Wärme, Strom und Kälte in ihren Abhängigkeiten zueinander. Es wurden Lösungen entwickelt, die den Energiebedarf der Stadt mit den vorhandenen Ressourcen, wie den erneuerbaren Energien, in Einklang bringen. So kommt in Tongli ein Energiemix zum Einsatz, der sowohl den Anforderungen im lokalen, als auch im großen Maßstab gerecht wird – denn die Stadt soll nicht als autarke Insel im Energiesystem funktionieren, sondern einen flexiblen Austausch mit ihrem Umfeld ermöglichen.

Einsatz neuester und nachhaltiger Technologien

Eine wichtige Stellschraube für den Erfolg des Projektes ist der passende Mix modernster Technologien. Deshalb analysierte die dena technologische Innovationen und Konzepte aus mehreren Städten weltweit. Passten diese auf die Anforderungen in Tongli New Energy Town, wurden sie in das Konzept mit aufgenommen. Mit der von den dena-Experten empfohlenen Technologieauswahl lässt sich der Energiebedarf allein im Gebäudebereich um 53 Prozent senken. Dabei setzen die Expertinnen und Experten einerseits auf Speicherlösungen und Energiezentralen, die Kälte und Wärme für viele Abnehmer gleichzeitig bereitstellen und andererseits auf einen hohen Gebäudestandard mit einer energieeffizienten Gebäudehülle.

Ein weiterer wichtiger Baustein sind alternative Antriebe, um die Energieeffizienz und die Dekarbonisierung zu erhöhen. Neben einer ausgebauten Ladeinfrastruktur für E-Mobilität wurden auch Informations- und Kommunikationstechnologien wie z.B. Smart Sharing-Konzepte wie “On-Demand-mobility" oder Smart-Traffic-Management-Konzepte empfohlen.

Living Lab und partizipativer Raum

Von Beginn an war es ein wichtiger Anspruch des Projektes, dass die zukünftige Tongli New Energy Town ihre Bewohnerinnen und Bewohner aktiv in die Gestaltung und Weiterentwicklung der Stadt einbindet. So bringt sich die Stadtgesellschaft mit ihren Bedürfnissen und ihren Vorschlägen ein und ermöglicht es so, dass sich die Stadt immer wieder in Echtzeit selbst erfindet. Das Konzept sieht etwa Informationsveranstaltungen und digitale Formen der Partizipation vor, mit denen die Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden sollen – von öffentlichen Vorträgen und Nachbarschaftstreffen, bis hin zu offenen Datenplattformen und digitale Anwendungen.

So kommen zu den historischen Wasserkanälen Tonglis neue Kommunikationskanäle hinzu, die Moderne und Tradition verbinden.